4.2.4 Impulse geben (Phase 4)

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Einordnung in Gesamtablauf der Systemischen Organisationsberatung

Wie oben beschrieben, wären zu Beginn der vierten Phase, des Impulse-Gebens, die Phase des Einstiegs abgeschlossen, die Anliegen konkretisiert und die Bearbeitungs- und Lösungsebene gefunden. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Phasen sich überschneiden können, eine Phase übersprungen oder zurückgegangen wird, oder die Beratung zwischen den Phasen hin und her pendelt (vgl. Brüggemann et al. 2012, S.14).

Wenn in die Phase vier eingestiegen wird, ist es sehr wichtig, dass eine äußerst vertrauensvolle Beratungsbeziehung entstanden ist, da diese Phase an den üblichen Mustern des Systems ansetzt. Deswegen ist ebenso ein erfolgreicher Abschluss der zweiten Phase wichtig, da im Zuge dieser Phase der Berater immer wieder auf die Beratungsziele verweisen wird. „Ausgehend vom systemischen Prozessverständnis können sich das Thema oder das Ziel der Beratung immer wieder verändern“ (ebd. S. 14f.). Dann ist es notwendig Beratungsschritte zu wiederholen und dann mit der vierten Phase fortzufahren.


Aufbau und Ablauf

In dieser Phase beginnt der Berater nach Absprache mit dem Kunden und dessen Einverständniserklärung, Interventionen zu geben, die „Anstoß, Anregung, Ermunterung“ (Brüggemann et al. 2012, S.83) sein sollen zur Veränderung. Hier sollten sich Berater und Klient vertraut sein, denn der Berater wird zwischenzeitlich provozieren, Anmerkungen des Kunden verstärken, relativieren und hinterfragen.

Wie bereits erklärt, geht die systemische Theorie von einem „Zusammenspiel von verschiedenen Anteilen in einem System“ (Brüggemann et al. 2012, S.88) aus, die sich wechselseitig beeinflussen. Nun wird versucht, das System in Bewegung zu bringen. Dadurch wird das System flexibler und Verhaltensänderungen werden ermöglicht (vgl. ebd.).

Zu Beginn wird versucht, den Sachverhalt anders zu bewerten und ihm eine positive Umdeutung zu geben. Für einen lösungsorientierten Beratungsansatz ist es hilfreich, positive Auswirkungen eines Problemverhaltens herauszuarbeiten. Dass das Problemverhalten einen anderen Rahmen bekommt, führt oftmals zu einem Aha-Erlebnis, bei dem erstmals Positives an der problematischen Situation gesehen wird.

„Solche Aha-Erlebnisse können die emotionalen Bewertungen des Kunden bezüglich eines problematischen Zustandes verändern und somit neue Möglichkeiten der Herangehensweise an das Problem schaffen, denn letztlich geht es vor allem darum. Auch aus vordergründig beurteilten negativen Entwicklungen großen Nutzen zu ziehen.“ (Tomaschek 2009, S. 80f. )


Durch neue und veränderte Perspektiven wird sich weniger an dem Problem orientiert und es können zukunftsgerichtet neue Möglichkeiten geschaffen werden, die funktionale Handlungsalternativen ermöglichen. Außerdem kann die Umdeutung nicht die Lösung eines Problems bringen, sondern sogar „dessen Relativierung und Umdeutung in einen positiven Kontext, d.h. Problemlösung durch Problemauflösung.“ (Tomaschek 2009, S. 83). Die Veränderung von Sichtweisen ist hier ein primärer Lösungsansatz, aus denen sich alternative Handlungsentwürfe ergeben, die der Kunde umsetzen kann (vgl. ebd., S. 82ff).

Hier wird damit begonnen, durch Umdeuten, Unterlassen, Verstärken, Ersetzen oder Transformieren von Handlungsweisen bestehende Muster zu unterbrechen. Der Berater wählt Methoden, die die Systembeteiligten aktivieren. Der Zustand und Handlungsalternativen des Kunden werden durch bestimmte Methoden erlebbar gemacht und der Berater kann sein Verständnis für die Wirklichkeit des zu Beratenden vertiefen (vgl. Brüggemann et al. 2012, S.88ff).

Hier eignet sich die Methode der Skulpturarbeit. Sie macht eine visuelle Aufstellung von „Gegenständen, denen bestimmte Personen, Rollen, Muster Wünsche und Aufträge zugesprochen werden“ (ebd. S. 92). Mehr Informationen dazu finden sich unter dem Punkt Methoden.

Als nächstes wirft der Berater Impulse ein. Er stellt neugierige, kreative und verstörende Fragen, wirft irritierende und bereichernde Ideen ein. Durch das Erzeugen verschiedener Sichtweisen wird ein Unterschied zu vorherigen Wahrnehmung erzeugt. Viele verschiedene Ideen für Lösungsstrategien ergeben sich. Es wird „dem Kunden ermöglicht, von seiner einseitigen zu vielseitigen Handlungsperspektiven zu gelangen. […] Der zu Beratende wird die für ihn interessanten Anregungen aufgreifen und im weiteren Prozess nutzen können“ (ebd. S. 96).

Denn eine Lösung eines problematischen Sachverhalts in einem sozialen System kann für manche Mitglieder desselben Systems ein Problem sein. Dazu werden beteiligte Personen einbezogen, um zu berichten, welche Veränderungen sie wahrnehmen, um aus vielen Perspektiven Unterschiede herauszustellen (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 98ff.). Hier bieten sich Methoden wie das Zirkuläre Fragen und Skalierungen an.

Entstehen Ideen im Bezug auf eine Lösung des Problems, ist vom Berater „große Sensibilität verlangt, den Kunden selbst entscheiden zu lassen, welche neue Sichtweise er für sich übernehmen kann und ob sie ihm im weiteren Umgang, die problematische Situation betreffend, sinnvoll erschient“ (Tomaschek 2009, S. 84).

Nachdem Bewegung in das System gekommen ist, werden die Unterschiede zum Bisherigen mit dem Kunden festgestellt. In diesem Schritt sind Handlungsalternativen für den Kunden erlebbar geworden, die es ermöglichen, angestrebte Veränderungen durchzuführen.

Die Veränderungen bringen wahrnehmbare Auswirkungen auf das Erleben und die Interaktion untereinander und sollen geprüft werden (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 98ff.). Hier sind transparente Strukturen und klare Rahmenbedingungen und ein direktes Kommunizieren der einzelnen Mitglieder wichtig.

Auch Misserfolge werden analysiert und reflektiert, da diese wesentliche Informationen für zukünftige Erfolge liefern. Die positiven Aspekte werden fokussiert und stehen so als Ressource zur Verfügung, um neue Lösungsansätze und Handlungsstrategien zu entwickeln (vgl. Tomaschek 2009, S.91).

Das in Bewegung gekommene System impliziert die Chance, Muster zu verändern. Neue Abläufe und Verhaltensweisen werden ausprobiert (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 105).

„Ziel dieses lösungsorientierten Beratungsansatzes ist es, dem Kunden eine Hilfestellung zu bieten, die es ihm ermöglicht, mit Problemen adäquat umzugehen und seine eigene Problemlösekompetenz in der alltäglichen beruflichen Situation zu entwickeln bzw. sie zu manifestieren.“ (Tomaschek 2009, S.94)


Rolle und Aufgaben des Beraters

Im Folgenden werden die Rolle und die Aufgaben des Beraters in der Phase des Impulse-Gebens beschrieben und nicht auf die gesamte Systemische Organisationsberatung Bezug genommen.

Der Berater ist seinem Kunden gegenüber offen und wertschätzend; er versucht, seine Wirklichkeit zu verstehen und damit zu arbeiten. Es gibt keine Objektivität - alle Beobachtungen sind als subjektiv zu betrachten. Also muss sich der Kontext, die Wirklichkeit des zu Beratenden immer wieder genau angesehen und hinterfragt werden. Darauf aufbauend wird der Berater verschiedene und andere Perspektiven einbringen.

Der Berater versteht sich als jemand, der sein systemisches Fachwissen und die Metaperspektive zur Verfügung stellt, indem er Sichtweisen des Gesprächspartners erweitern und Impulse geben kann. Durch die Interventionen will der Berater die Sicht des Kunden auf die Situation verändern. Er geht davon aus, dass die Lösung in ihm schon vorhanden ist, der zu Beratende selbst weiß, was gut für ihn und das Unternehmen ist. Der Berater will keine Antworten oder Lösungsvorschläge geben, sondern diese vom Kunden erfahren (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 23).

„Die Methoden auszuwählen, ist eine der Hauptaufgaben des Beraters und erfordert von im Mut, Einfühlungsvermögen und eine professionelle Einschätzung des zu Beratenden und der Situation.“ (ebd. S. 15).


Der Berater hat an dieser Stelle die Aufgabe des Ideengebers (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 96) und soll Kommunikationsmuster spiegeln. Deswegen muss es ihm gelingen, in dieser Phase besonders kreativ zu sein und immer wieder neue Ideen und verschiedene Perspektiven zu geben. Der Berater muss dabei eine vorurteilsfreie Haltung präsentieren (vgl. ebd. S.96). Die Impulse sollen „auf andersartige Ideen oder Handlungsmöglichkeiten hinweisen, ohne dabei zu werten.“(ebd. S.84) In dieser Phase ist besonders wichtig, die Bereitschaft und die Experimentierfreude des Kunden gut im Blick zu behalten. Neben verbalen Äußerungen sind auch Mimik und Gestik zu beachten und zu hinterfragen. Er muss sich das Einverständnis des Kunden holen, „etwas Neues auszuprobieren“ (Brüggemann et al. 2012, Karte 16). Die Beratung ist in der Phase angekommen, in dem der Kunde gewohnte Muster und Verhaltensstrukturen verlassen soll. Dies ist mit Ängsten und Ungewissheit verbunden und deswegen sensibel anzugehen (vgl. ebd. S. 84).

Hier ist es Aufgabe des Beraters, Anmerkungen, Äußerungen und Verhaltensweisen des Kunden aufzugreifen, sie zu hinterfragen, zu verstärken und zu relativieren, um aktuelle Beziehungsmuster deutlich zu machen oder bisher noch nicht verwirklichte Beziehungsmöglichkeiten durchzuspielen (ebd.).

Die Erfolge des Kunden sind zu betonen, um einen geeigneten Zugang zu dem Kunden zu finden.


Diskussion der Risiken und Chancen und abschließendes Fazit

Im Folgenden werden Risiken und Chancen des Impulse-Gebens beschrieben. Es wird nicht auf die gesamte Systemische Organisationsberatung Bezug genommen.

In dieser Phase sollte der Berater das zu Beginn des Beratungsgesprächs formulierte Anliegen im Blick haben und es seinen Kunden immer wieder vergegenwärtigen (vgl. Brüggemann et al. S.105). Stellt sich heraus, dass es sich aufgrund keiner klaren Diagnose des Kunden nicht um das eigentliche Anliegen handelt, läuft die Beratung Gefahr, nicht für das eigentliche Problem nach Lösungen zu suchen. Hier muss zurückgegangen und das eigentliche Anliegen formuliert werden. Die Gefahr ist, dass dieser Sachverhalt nicht auffällt und die Beratung dadurch nicht die gewünschten Erfolge erzielt.

Ein weiteres Risiko in dieser Phase besteht darin, dass die Beratung mit dem Einsetzen von Veränderungen noch nicht abgeschlossen ist und der Prozess weitergeführt werden muss, „bis alle Beteiligten sich mit dem neuen System und Prozessen angefreundet haben.“ Dieses Anfreunden aller Beteiligten ist oft eine große Herausforderung. Wenn Prozesse verändert werden, nimmt die Motivation der Beteiligten ab. „Das Neue wird oder will nicht angenommen werden“ (Brüggemann et al. 2012, S.86). Der Berater hat hier also mit starken Widerständen zu rechnen, „bis alle Beteiligten sich mit dem neuen System und Prozessen angefreundet haben“ (ebd.). Dies kann sich zwischenzeitlich schwierig gestalten, wenn es darum geht, alle Mitglieder zur Veränderung und Verhaltensänderung zu motivieren.

Der Berater läuft Gefahr, die falschen Methoden zu wählen. Ob die Methoden in dieser Phase den gewünschten Effekt erzielen, hängt wie beschrieben stark von den Vorerfahrungen und der Experimentierfreudigkeit des Kunden ab. Diese können auch sehr gering ausfallen. Hat der Berater hier nicht das richtige Feingefühl und übersieht Anzeichen der Ablehnung und dass sich die Kunden nicht darauf einlassen können, ist das Risiko groß, dass die Impulse nicht gegeben werden und sich dadurch keine Handlungsalternativen zeigen.

Gelingt es, einen Teil des Systems durch die Impulse in Bewegung zu bringen, wird sich die Bewegung auf das gesamte System auswirken. „Durch die Möglichkeit, in Bewegung zu kommen, kann das Klientensystem flexibel werden und gestattet Verhaltensänderungen“ (ebd. S. 88). Die Verhaltensänderung einzelner Systemmitglieder hat Auswirkungen auf andere Teile des Systems oder das gesamte System. Diese können jedoch positiv oder negativ sein und bedürfen im zweiten Fall weiterer Bearbeitung.

Trotz der Gefahren, die eine Beratung behindern können, ist das größte Potential in dieser Phase die Umdeutung von als störend erlebten Handlungsweisen in die positiven Potentiale. Die neuen Perspektiven auf die Handlungsweisen sorgen dafür, dass die Umstände ihre negativen Zuschreibungen verlieren, die positiven Aspekte genutzt und neu in Handlungsabläufe integriert werden (vgl. Brüggemann et al. 2012, S. 101f.). Es entstehen neue Ideen, die ohne eine Erweiterung der Perspektiven durch den Berater, beschränkt durch die eigene Wahrnehmung des zu Beratenden, nicht entstanden wären. Deswegen ist die Phase des Impulse-Gebens voll von Chancen, Lösungsmöglichkeiten für ein Problem hervorzuholen, die bereits im System vorhanden sind. Dies geschieht durch Hinterfragen, Verstärken, Relativieren und Querdenken von Aussagen des Kunden durch den Berater. Dadurch erhält der Kunde neue Impulse, die die Perspektive weiten, und kann Lösungsideen entwickeln, ausprobieren und den Unterschied zu vorher bewerten, um sich dann für einen Lösungsweg zu entscheiden.


Methoden zu "Impulse geben"


Literaturverzeichnis

Brüggemann, Helga/ Ehret-Ivankovic, Kristina/ Klütmann, Cristopher (2012): Systemische Beratung in fünf Gängen- Ein Leitfaden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. Tomaschek, Nino (2009): Systemisches Coaching- Ein zielorientierter Beratungsansatz. Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG.