2. Einleitung

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Zunächst wird hier ein Überblick über die Möglichkeiten zur Organisationsberatung aufgezeigt, um die klassische Organisationsberatung und andere Ansätze von dem systemischen Coaching abgrenzen zu können. Anschließend werden die Rahmenbedingungen und Grundlagen der systemischen Beratung in Organisationen definiert, um die späteren Handlungsweisen und Methoden sinnvoll einsetzen zu können. Hierzu wird das systemische Coaching durch die Darstellung der theoretischen Grundlagen definiert und ihr Handlungsspielraum in Abgrenzung zur Psychotherapie festgelegt. Anschließend wird das Profil eines Beraters dargelegt und die Phasen des Beratungsprozesses mit jeweiligen Handlungsanweisungen aufgezeigt, um abschließend eine Sammlung von Methoden zur systemischen Organisationsberatung im Bereich der Führung, Teambildung und Kommunikation zu erhalten.

Die klassische Unternehmensberatung entwickelte sich zeitgleich mit der psychologischen Systemberatung seit den 60er-Jahren. Dabei standen technische und wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. (vgl. Migge, 2007) Verschiedene Aspekte, wie der schnelle technische Fortschritt, stark umkämpfte Märkte und die Folgen der Globalisierung machten es nötig, dass Organisationen ihre Strukturen und Prozesse drastisch veränderten. Daher wurde die Organisationsberatung zur Verbesserung von Produktivität und Effizienz immer wichtiger. Hinzu kamen gesetzliche Veränderungen und gezielte Kunden- und Zukunftsorientierung, die sich auf Innovation und Umweltbewusstsein stützten. (vgl. Ameln u. a., 2009) Erst in den 80er-Jahren kam die Tendenz auf auch in nicht Profit orientierten Organisationen tätig zu werden, bspw. in Bildungsstätten, Schulen und sozialen Einrichtungen. Dies führte zu einer inhaltlichen Umstrukturierung in den psychologischen und soziologischen Bereichen (vgl. Migge, 2007).

Die daraus entstandenen Beratungsformen sind vielfältig und beziehen sich auf die verschiedenste Aspekte und Zielsetzungen. Unterscheiden lassen sich zunächst die Strategieberatung und die Prozessberatung. Die Strategieberatung bezieht sich auf die Bewertung der betriebswirtschaftlichen Belange eines Unternehmens. Der Berater hat dabei die Aufgabe dem Unternehmen bei der Verbesserung von z.B. Organisationsstrategien, Umgestaltung der Organisationsstruktur und Erschließung neuer Märkte zu helfen, indem er die Strukturen und Prozesse sowie Marktlage und Konkurrenzsituation zunächst analysiert und anschließend Vorschläge zu Verbesserung anstellt. Das Management ist dabei der Hauptansprechpartner des Beraters. Die Strategieberatung geht davon aus, dass Organisationen wie Maschinen funktionieren. Demnach sei eine Organisation durch feste, klar definierte Abläufe gekennzeichnet, die es zu optimieren gilt, um maximale Effizienz zu erreichen. Unterbrechungen oder Störungen in den Abläufen entstehen bei dieser Ansicht und damit auch bei der Strukturberatung, da nicht berücksichtigt wird, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens individuelle Ziele und Wünsche haben, Entscheidungen nicht immer rational gefällt werden und die Abläufe in einer Organisation nicht linear, sondern zirkulär sind und somit nicht vollständig berechnet werden können (vgl. Ameln u. a., 2009). Diese Art der Organisationsberatung beachtet also nicht, dass Unternehmen Systeme sind in denen Menschen agieren. Unternehmen müssen somit als nicht-triviale Maschinen, die nicht durch reine Kausalität und von außen gesteuert oder bewertet werden können, sondern sich wandeln und eigendynamisch sind, bezeichnet werden (vgl. Von Schlippe & Schweitzer 2002, S. 55ff). Eine andere Form der Beratung ist die Prozessberatung. Sie hat das Ziel die Organisation in die Lage zu versetzen Probleme selbstgesteuert lösen zu können. Der Berater begleitet und unterstützt die Mitarbeiter in erster Linie in ihrem eigenen Lernen und Reflexionsprozess. Zu dieser Form der Beratung gehören die Organisationsentwicklung und die systemische Organisationsberatung. Es lassen sich weitere Konzepte, wie Teamentwicklung, Personalentwicklung, Coaching und Supervision zu diesem Bereich der Beratung zählen. Dieser wurde durch den Bundesverband deutscher Unternehmensberater als „Human-Ressource Managementberatung“ bezeichnet. Die Organisationsentwicklung oder auch „Change Management“, die sich im Zuge der „Human-Relations-Bewegung“ Mitte der 20er-Jahre entwickelte, bezieht die Mitarbeiter und andere Faktoren wie Gruppendynamik, Kommunikation, Konflikte, Motivation, Identifikation sowie Führung und ihre Beratung mit ein. Sie unterscheidet sich dabei von dem klassischen Konzept, da die Beratung von einer technischen Ebene auf eine soziale verlagert wird. Die Argumentation für diese Vorgehensweise ist, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen die Effizienz der Mitarbeiter steigert (vgl. Ameln u. a., 2009). Hierzu können die „Hawthorne Experimente“ von Elton Mayo, Fritz Roethlisberger und William Dickson (1927- 1932) angeführt werden. Die Wissenschaftler untersuchten den Einfluss von Beleuchtung auf die Effizienz der Mitarbeiter in einer Fabrik. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass nicht die unterschiedliche Beleuchtung eine Veränderung hervorbrachte, da sich sowohl die Leistung der untersuchten Gruppe als auch die der Kontrollgruppe, deren Arbeitsbedingungen nicht verändert wurden, steigerte. Sie vermuteten, dass die Leistungssteigerung nicht durch die Änderung der Verhältnisse hervorgebracht wurde, sondern die Mitarbeiter durch das Interesse und die Anwesenheit der Forscher sind wertschätzend behandelt gefühlten. Eine zweite Untersuchungsreihe, in der die Arbeitszeiten angepasst wurden und ein nicht-direktiver Führungsstil eingeführt wurde, unterstütze das Ergebnis, da sich auch hier die Leistung steigerte (vgl. Nerdinger u. a., 2011, S. 48f). Bei dieser Sichtweise muss beachtet werden, dass sich die Interessen der Mitarbeiter nicht immer an dem Interesse der Organisation orientieren, z.B. bei Konflikten oder ausgeprägtem Machtstreben. Zudem geht dieser Ansatz von einer reinen intrinsischen Motivation der Mitarbeiter aus, was vernachlässigt, dass Menschen arbeiten gehen, um Geld zu verdienen und dazu neigen Aufwand und Nutzen zu optimieren. Außerdem ist ein nicht-direktiver Führungsstil, bei dem die Entfaltung der Potenziale des Einzelnen sicherlich groß ist, nicht immer sinnvoll und daher muss der Führungsstil an die jeweilige Situation angepasst sein (vgl. Ameln u. a., 2009). Eine weitere Beratungsoption ist die psychoanalytische Organisationsberatung, die auf Sigmund Freuds Annahmen über Bewusstes und Unbewusstes beruht. Ihr wird jedoch heute nur noch wenig Beachtung geschenkt, obwohl ihre theoretischen Grundlagen, wie z.B: das Verständnis von Widerstand und Latenz, in der systemische Beratung integriert sind. (vgl. ebd.) Da die systemische Beratung die Grundlage für die Methodensammlung sein wird, wird trotz der für heute fehlenden Relevanz auf diesen Ansatz eingegangen. Die Aufgabe des Beraters in der psychodynamischen Beratung besteht darin die hinderlichen und unbewussten Prozesse in einer Organisation zu erschließen und diese den Organisationsmitgliedern aufzuzeigen, um diese Prozesse bewusst und damit wirkungslos zu machen. Nach Freud bringe jeder Mensch eigene Erfahrungen, Ängste und Erwartungen in die Organisation mit ein, die sein Handeln und damit auch die Dynamik des Systems bestimmen. Dabei wird nicht beachtet, dass Organisationen eine Eigendynamik entwickeln, die nicht mit den einzelnen Handlungen des Individuums zu tun haben. Außerdem wird nicht berücksichtigt, dass der Mensch nicht vollständig durch seine Erfahrungen determiniert ist und immer ein gewisses Veränderungspotenzial entwickeln kann (vgl. ebd.). Ein Beratungskonzept, das ebenfalls zu der Prozessberatung gehört ist die systemische Organisationsberatung. Dieser Ansatz beachtet sowohl die psychodynamischen Gegebenheiten als auch die Grundannahmen der Organisationsentwicklung, ohne dabei die Wechselseitigkeit in sozialen Systemen zu vernachlässigen. Außerdem berücksichtigt diese Sichtweise zum Einen die individuellen Sichtweisen der Wirklichkeit des Einzelnen und zum Anderen den Gesamtzusammenhang in dem Unternehmen (vgl. ebd.). Im folgenden Anschnitt wird daher näher auf dieses Beratungskonzept eingegangen.

Das systemische Coaching ist als eine Beratung für die Mitglieder einer Organisation zu verstehen, die darauf abzielt die Produktivität bzw. das Zusammenspiel der Organisationsmitglieder zu verbessern. Dabei muss sie gegenüber der psychotherapeutischen Beratung abgegrenzt werden. Auch wenn der theoretische Hintergrund und die Vorgehensweisen in einem großen Teil übereinstimmen ist eine Abgrenzung im theoretischen und methodischen Bereich wichtig, da ohne sie rechtliche Konsequenzen drohen könnten. Hinzu kommt, dass die Psychotherapie ein Krankheitsbild zur Grundlage haben muss und das Coaching von der reinen Eigeninitiative zur Verbesserung von Kompetenzen und Gegebenheiten ausgehen darf. Eine Trennschärfe zwischen den Bereichen ist nicht immer leicht zu erlangen, da auch psychisch erkrankte Menschen freiwillige Beratung suchen ohne das Bewusstsein für ihre Störung. Berater können eine Organisation als interner oder externer Coach beraten (vgl. Migge 2007). In Kapitel … wird näher auf diesen Unterschied, die Rollen und Handlungsbasis des Beraters eingegangen. Neben dem Coaching bestehen viele weitere Arten der Beratung, die sich in ihren Inhalten und Vorgehensweisen aber überschneiden, wie zB. Mediation, Training, Fortbildung, Supervision, Philosophische Lebensberatung oder Mentoring (vgl. Migge 2007, S. 25).

Die geschichtliche Entwicklung und der theoretische Hintergrund der systemischen Beratung werden nun im Weiteren beleuchtet. Die systemische Organisationsberatung geht aus der Systemtheorie nach Luhmann, sowie aus dem radikalen Konstruktivismus hervor (vgl. Luhmann 1984, von Foerster 1985, Maturana 1982). Nach Migge (2007) beruhe das Prinzip der systemischen Beratung außerdem auf verschiedenen Theorien von unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, wie der Kybernetik, mathematischen Spieltheorie, Chaostheorie und Kommunikationstheorie. Z.B. übertrug der Anthropologe Gregory Batesons in den 40er und 50er Jahren das technische systemische Verständnis von Weaver in einen kommunikativen Kontext und stellte dabei fest, dass „Die entscheidenden Faktoren innerhalb des Systems […] nicht einzelne Kommunikationsereignisse, sondern die im System handelnden Personen (seien)“ (Migge 2007, S. 344). Ein System sei von Zirkularität, abgeleitet aus der Kybernetik nach Wiener, geprägt. Bei Norbert Wiener (1947) wird die Kybernetik „[…] so verstanden, daß objektive Beschreibungen eines Beobachters, der von dem beobachteten Objekt getrennt ist, möglich sind und unabhängig von ihm gelten“ (Pisarsky 2000, S. 71f). Systeme sind also durch Wechselseitigkeit und Dynamik der Beziehungen, Regeln und damit einbezogenen Grenzen gekennzeichnet. Sie zielen darauf ab ihre innere Konsistenz zu erhalten. Dies geschieht durch Rückkopplungsmechanismen, die zur Erhaltung, der Homöostase, des Systems beitragen (vgl. Lutz 2010). Dies führt dazu, dass Probleme und negative Handlungsweisen entstehen oder aufrechterhalten werden. Papp (1983/1989) definiert ein System wie folgt:

„Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile; jedes Teil ist nur im Kontext des Ganzen zu verstehen; eine Veränderung in irgendeinem Teil wirkt sich auf alle anderen Teile aus; das Ganze reguliert sich durch eine Folge von Rückkoppelungsschleifen, die kybernetischen Schaltkreise. Innerhalb dieser Rückkoppelungsschleifen wandern die Informationen hin und her und bewirken so die Stabilität bzw. Homöostase des Systems“ (Papp 1983/1989, S. 18).

Damit ergeben sich für soziale Systeme Konsequenzen, wie, dass das Handeln der Personen keine reine Reaktion darstellt, sondern sie durch die subjektive Wirklichkeitskonstruktion geprägt sind. Außerdem bestehen in einem System explizite oder implizite Regeln, die einen Konsens über Wirklichkeit offenlegen. Durch die unterschiedlichen Wirklichkeitswahrnehmungen besteht zwischen den Beziehungen von Menschen Wechselseitigkeit. Diese Wechselseitigkeit in der Wahrnehmung von Realität wird in der Kommunikationstheorie Interpunktion genannt. Jede Handlung hat Einfluss auf den Handelnden selbst, seinem gegenüber und somit auf die weiteren Interaktionen zwischen den Personen. Paul Watzlawick (2000) entwickelte aus diesen Annahmen in seiner Theorie der „Menschlichen Kommunikation“ einige Prämissen für die Kommunikation zwischen Menschen. Erstens sei Kommunikation immer vorhanden. Zweitens beinhalte jede Äußerung immer einen inhaltlichen und einen Beziehungsaspekt. Drittens bedinge der Kommunikationsablauf die Art der Beziehung. Friedemann Schulz von Thun differenzierte diese Annahmen weiter und teilte die Kommunikation in wesentliche Aspekte. Demnach sei ein Sachinhalt, Beziehungs-definition, Selbstoffenbarungsanteil und ein Appellcharakter in einer Botschaft enthalten. Auch Heinz von Foerster (1993) erkannte, dass Begriffe keine Allgemeingültigkeit haben, sondern hinter ihnen jeweils eine individuelle und subjektive Bedeutung steht. Daher ist es wichtig nicht die Begriffe zu sehen, sondern die Wirklichkeitswahrnehmung, die dahinter liegt (vgl. ebd. ). Abschließend werden hier die Annahmen von Niklas Luhmann dargestellt, da sie den Charakter von sozialen Systemen nochmals deutlich machen und wichtige Informationen für den Berater zum Umgang mit Systemen geben. Er geht davon aus, dass soziale Systeme sich durch Kommunikation abgrenzen, ihre Elemente sich aus dem System selbst konstruieren und sie zur Reduzierung von Komplexität der Realität dienen. Zudem sei nicht eine Person, sondern eine sprachliche oder nicht-sprachliche Äußerung ist die kleinste kommunikative Einheit. Die Aspekte eines Systems müssen bei dem Beratungsprozess von Organisationen berücksichtigt werden. Aus ihnen folgt, dass die Veränderung aus dem Klienten selbst heraus geschehen muss und nicht von Berater initialisiert wird (vgl. Migge 2007).


Literatur

Ameln, F.; Kramer, J.; Stark, H. (2009). Organisationsberatung beobachtet. Hidden Agendas und blinde Flecke, 1. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Luhmann (1984). Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Maturana, H. R. (1982): Erkennen. Die Organisation des Lebendigen: eine Theorie der lebendigen Organisation. Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie. Braunschweig/Wiesbaden: Obladen.

Migge, B. (2007). Handbuch Coaching und Beratung. 2. Aufl.. Weinheim und Basel: Beltz.

Nerdinger, F. W., Blickle, G., Schaper, N. (2011). Arbeits- Und Organisationspsychologie. Berlin/ Heidelberg: Springer Medizin.

Papp, P. (1989). Die Veränderung des Familiensystems. Stuttgart: Klett-Cotta.

Pisarsky, B. C. (2000). Die Mailänder Schule. Systemische Therapie von der paradoxen Intervention zum epigenetischen Ansatz, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Von Foerster, H. (1985). Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Braunschweig/Wiesbaden: Obladen.

Von Foerster, H. (1993). Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Von Schlippe, A. & Schweitzer, J. (2002). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I: Das Grundlagenwissen, 8. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.